Riga, Lettland – Bevor Seine Heiligkeit der Dalai Lama sich auf den Weg zur Skonto-Halle für die Unterweisungen machte, gab er im Hotel dem lettischen Fernsehen ein Interview. Gundars Reders führte das Interview mit Seiner Heiligkeit für das Programm ‚One to One’, das während der Hauptsendezeit ausgestrahlt wird. Reders fragte danach, was Seine Heiligkeit damit meine, wenn er davon spreche, dass die Welt in einer Krise stünde.
„Es gibt so viel Furcht und Wut, unerfüllte Bedürfnisse und Ausbeutung, eine grosse Schere zwischen arm und reich und Kinder, die verhungern. Viele dieser Probleme der Menschheit haben wir selbst verursacht.“
Reders fragte weiter wie dem Terrorismus mit Mitgefühl entgegen getreten werden könne – ob das nicht unmöglich sei. Seine Heiligkeit widersprach und sagte, dass solche Probleme nur dann endgültig gelöst werden können, wenn wir auf Menschen zugehen und uns immer wieder daran erinnern, dass auch Unruhestifter menschliche Wesen seien. Wenn wir Probleme ständig mit Gewalt zu lösen versuchen, dann wird dies nur zu mehr Terroristen führen. Es ist ein veralteter Ansatz, der unter anderem auch das heutige auf materialistische Ziele fokussierte Bildungssystem widerspiegelt. Die Förderung der inneren Werte hat hier wenig Platz. In diesem Zusammenhang führte Seine Heiligkeit die laufenden Bemühungen für die Einführung eines neuen Lehrplanes auf, der eine säkulare Ethik in den Bildungssystemen fördern soll.
Auf die Bemerkung Reders, dass Seine Heiligkeit nicht vom lettischen Staatspräsidenten empfangen wurde, sagte er: „Das ist doch OK, es ist ein nichtpolitischer Besuch und ich bin auch nicht etwa enttäuscht. Verstehen Sie, die Welt gehört den 7 Mia. Menschen auf der Erde und jedes Land gehört seiner Bevölkerung, deshalb empfinde ich es als wichtiger, mich mit den Menschen zu treffen.“
Seiner Heiligkeit wurden einige Fragen, die über die sozialen Medien eingereicht wurden, vorgetragen: z. B. ob er ein Mobiltelefon besäße oder jemals den Wunsch hatte zu heiraten. Zu beiden Fragen antwortete er mit einem unverblümten Nein. Auf die Frage wie man dauerhaftes Glück erreichen könne, sagte Seine Heiligkeit: „Als ein Schüler der indischen Nalanda-Tradition beschäftige ich mich mit Verstand und Analyse. Angst und Wut führen dazu, dass der geistige Frieden gestört wird. Deshalb müssen Gegenmittel gefunden und eingesetzt werden.“
Die Fahrt zur Skonto-Halle dauerte an diesem Montagmorgen etwas länger als am Wochenende. Gleich nach der Ankunft und nachdem er seinen Sitz auf der Bühne eingenommen hat, begann Seine Heiligkeit seine Unterweisungen, indem er mehr Hintergründe über die heutige Belehrung erläuterte. Die Unterweisungen in Tibet wurden je nach dem, ob sie vor oder nach Lotsawa Rinchen Sangpo gegeben wurden, in Zugehörigkeit zur Nyingma- oder Alten-Tradition unterschieden.
Innerhalb der Nyingma-Tradition existiert eine Kategorisierung der buddhistischen Unterweisungen in neun Fahrzeuge. Drei äußere Fahrzeuge aufgrund der Vier Edlen Wahrheiten; drei äußere Tantras und drei innere Tantras. Die äußeren Fahrzeuge – das Zuhörer-, Einsame Realisierer- und Bodhisattva-Fahrzeug, beschäftigen sich mit den Gegenmittel für die negativen Emotionen in Bezug auf Drei Unterweisungen. Die äußeren tantras, kriya, upa und yoga tantras betreffen Vedisch-ähnliche Askese – Praktiken wie jene der Reinigung und des Fastens.
Seine Heiligkeit führte aus, dass er von Trulshik Rinpoche in viele wichtige Texte eingeführt wurde. Er forderte die Nyingma-Zentren auf, diese Texte weiterhin zu studieren und aufrecht zu erhalten.
„In meinen jungen Jahren habe ich ausschliesslich die Gelug-Tradition verfolgt. Irgendwann entstand bei mir dann der Wunsch von Khunu Lama Rinpoche die Guhyagarbha – Essenz der Geheimnisse zu empfangen. Aber das war nicht einfach, denn zu dieser Zeit habe ich die Dolgyal-Praxis ausgeübt . Später habe ich dann erfahren, dass der 5. Dalai Lama Dolgyal als einen perfiden Geist, der aufgrund von verfälschten Gebeten entstand, und die Lehre Buddhas und die fühlenden Wesen schädigt, beschrieben hatte. Ich gab somit diese Praxis auf.“
„Daraufhin wurde ich in die Guhyagarbha und Rongzoms Kommentar von Dilgo Khyentse Rinpoche sowie durch Unterweisungen von Trulshik Rinpoche eingeführt. Die Ironie ist, dass ich durch die Aufgabe der Dolgyal-Praxis meine religiöse Freiheit erlangt habe, aber die jetzigen Praktizierenden durch meinen Rat, die Dolgyal-Praxis aufzugeben, sich in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen.
Seine Heiligkeit setzte die Vorlesung aus dem Text von Dza Patrul Rinpoche fort. Am Ende erklärte er: „In den letzten Tagen habe ich Texte unterwiesen, die zur grundlegenden Struktur, die aus der Nalanda-Tradition entstanden sind, gehören. Ich habe die Unterweisung zu „Stufen der Mediation“ vom Sakya-Abt Sangye Tenzin erhalten. Ling Rinpoche, Trijang Rinpoche und Tagdrak Rinpoche haben mir den Text „Präzise Stufen auf dem Pfad“ erklärt. Den heutigen Text, der zur spezialisierten Kategorie gehört, habe ich von Dilgo Khyentse Rinpoche unterwiesen bekommen und ich hatte interessante Gespräche darüber mit dem Sakya-Abt Khenpo Rinchen. Ich hoffe, dass diese Erklärungen euch einen Nutzen bringen werden.“
Nach dem Mittagessen kehrte Seine Heiligkeit zurück auf die Bühne und nahm an einem öffentlichen Dialog mit dem Künstler Boris Grebenschikov, Filmregisseur Vitaly Mansky und dem Theaterregisseur Alvis Hermanis teil. Ivan Vyrypaev, Regisseur, Schauspieler und Drehbuchautor, moderierte den Dialog.
Der Dialog begann mit der Vision Seiner Heiligkeit für die Förderung einer säkularen Ethik. Seine Heiligkeit sagte, dass heute viele Probleme dadurch entstehen, dass Angst, Wut und Kurzsichtigkeit herrschen. Mitgefühl und innere Werte werden wenig beachtet. Er sagte, dass der beste Weg für die Erfüllung der eigenen Interessen es sei, Warmherzigkeit zu kultivieren. Mitgefühl führe zu einem ruhigen Geist und Selbstvertrauen und dies wiederum führe zu weniger Angst und Furcht. Wenn man sich um das Wohl der anderen kümmert, dann entsteht dadurch Vertrauen, das das Fundament der Freundschaft bildet.
Seine Heiligkeit erklärte, dass der Sinn des Lebens es sei, Glück zu finden. Wir würden für die nächste Woche, den nächsten Monat, das nächste Jahr oder sogar nächstes Jahrzehnt Pläne schmieden – aber es gibt überhaupt keine Garantie dafür, dass diese Pläne aufgehen. Aber wir halten durch, weil wir auf das Gute hoffen.
Am Ende fragte jemand Seine Heiligkeit wie man mit Problemen und Schwierigkeiten im Leben umgehen soll. Er antwortete daraufhin, dass der Rat vom indischen buddhistischen Gelehrten Shantideva aus dem 8. Jahrhundert hilfreich und realistisch sei. Analysiere das Problem und ob man es lösen kann. Wenn es zu lösen sei, dann mach dich an die Lösung ran und somit muss du dir auch keine weiteren Sorgen machen. Falls es nicht zu lösen sei, dann hilft es nicht, sich darüber Sorgen zu machen.
Natascha Inozemtseva bedankte sich bei allen Beteiligten – Personal, Freiwillige, Sicherheitspersonal, Übersetzern, etc. – für die erfolgreichen Unterweisungen im Namen der Organisatoren. Boris Grebenschikov beendete die Veranstaltung mit einem sanften Lied. Das Publikum applaudierte und verabschiedete sich von Seiner Heiligkeit.
Morgen früh fliegt Seine Heiligkeit zurück nach Indien.